Kurzgeschichten

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Marcus Haas

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Dunkle Nacht

"Käsekuchen", flüsterte Kate im Halbdunkel der von der Zeltdecke baumelnden Taschenlampe.

"Was?"

"Jetzt hab‘ ich Lust auf Käsekuchen. Mit Rosinen."

"Wo soll ich denn um diese Zeit Käsekuchen herbekommen." Lars liebkoste zärtlich ihren Körper, er hätte alles für sie getan, aber um halb zehn abends Kuchen zu besorgen gehörte nicht unbedingt dazu.

"Unten an der Straße war ein Kaffee." 

Lars räkelte sich ungemütlich und befreite sich aus dem Daunenschlafsack, in dem sich die beiden zusammengekuschelt hatten. Es war schon recht kühl geworden, aber Lars wusste, dass er gegen Kates bitten nicht bestehen konnte. Zitternd streifte er die Jeans über, schlüpfte in die Stiefel und warf ein Hemd über die Schultern.

"Diese Hörigkeit is‘ ne üble Sache", murmelte er in einem Tonfall zwischen Scherz und Verzweiflung, als er mit der zweiten Taschenlampe in der Hand das Zelt verließ. Kate lächelte ihm nach. Ein Stück Kuchen war jetzt genau das Richtige, bevor sie nochmal mit Lars schlafen wollte. Sie hoffte nur, nicht schwanger zu sein, das käme im Moment nicht gerade gelegen. Auf der anderen Seite bekam man aber nicht sofort Hunger, wenn man gerade mit einem Mann geschlafen hatte.

Durch die Zeltwand konnte sie das Wippen der Taschenlampe noch eine Weile verfolgen, während Lars den Hang hinabstieg zur Straße. Es war ruhig im Wald, so ruhig, wie ein Wald in der Nacht eben wird. Grillen zirpten, Vögel zwitscherten hin und wieder und wenn Kate ganz ruhig war, konnte sie hin und wieder das Rascheln eines Tieres in den trockenen Blättern hören. Es war eine dunkel Nacht der Himmel war bezogen und hin und wieder lösten sich einige Regentropfen aus den Wolken. Sie hoffte, dass ihr Wochenende im Wald nicht verregnen würde.

Plötzlich wurde das Licht der Taschenlampe schwächer.

"Mist!" Flüsterte Kate, ohne sich selbst bewusst zu sein, warum sie ihre Stimme dämpfte. Sie nestelte den Knoten auf und nahm die Taschenlampe, schütteln half auch nicht weiter. Irgendwo im Zelt mussten noch Ersatzbatterien liegen, wenn Sie sie nur finden konnte, bevor die Funzel gänzlich versagte. Aber das Licht würde zusehends schwächer. Als die Lampe verloschen war, tastete Kate noch einige Minuten erfolglos im Dunklen herum, aber die Batterien konnte sie nicht finden.

"Wir hätten Kerzen mitnehmen sollen." Klagte sie leise und starrte in die Dunkelheit aber ohne einen einzigen Stern am Himmel herrschte hier draußen eine Dunkelheit, die man in keiner Stadt mehr erlebte. Es machte gar keinen unterschied, ob Kate die Augen offen oder geschlossen hatte, es war einfach nur Schwarz um sie herum.

In ihrer Blindheit erschienen die Geräusche vor dem Zelt noch ein wenig lauter, ein Stückchen näher und auch etwas bedrohlicher. Kate kroch tiefer in den warmen Schlafsack in dem Lars Anwesenheit, wie ein warmer Schatten, noch zu spüren war.

Vor dem Zelt war ein leises Rascheln zu hören. War Lars schon wieder zurück, sie musste das Zeitgefühl verloren haben, vielleicht hatte sie auch kurz geschlafen. Aber seine Taschenlampe war nicht zu sehen. Kate war sich im ersten Augenblick nicht sicher, ob sie die Augen offen oder geschlossen hatte aber sie waren geöffnet, und auf den Punkt gerichtet, wo sie den Zelteingang vermutete.

Die Stimme schien direkt neben ihr zu stehen, aber sie konnte den genauen Ort des dumpfen rauen Tons nicht identifizieren. Ihre Nackenhaare richteten sich auf. Dann war wieder alles still. Kate glaubte schon, dass sie sich das nur eingebildet hatte. Ein Effekt der Dunkelheit, die ihren anderen Sinnen Höchstleistungen abverlangte. Sie hoffte nur, dass Lars bald wieder auftauchen würde. Es war doch etwas gruselig allein im Wald, mitten in der Nacht. Kate konnte sich nicht erinnern im Dunkeln jemals Angst gehabt zu haben, im Gegenteil, die Dunkelheit hatte immer etwas Beruhigendes gehabt. Ein Schleier der Ruhe, der sich über die tobende Stadt legte.

Als der heiße Atem ihr ins Ohr blies, wusste Kate, dass sie sich die Stimme von eben nicht eingebildet hatte. Geifer tropfte ihr auf die rechte Schläfe.

Plötzlich raste ihr Herz, als ob es davonlaufen wollte, aber Kate war wie gelähmt vor Angst, wagte kaum Luft zu holen und verkrampfte die Finger, die sich in Panik in den Boden des Schlafsacks krallten. An Liebsten hätte sie sich den Schlafsack über den Kopf gezogen, aber das war eine Strategie, die gegen Albträume von Kindern half. Dieser Kerl, der sich in ihr Zelt geschlichen hatte, während sie schlief, würde sich davon nicht beeindrucken lassen.

Der heiße Atem stieß wieder und wieder gegen ihr zitterndes Gesicht, sie hatte die Augen fest zusammengepresst. Sie roch den fauligen Geruch seines Atems, ein verwesender Kadaver hätte nicht abstoßender sein können.

Das konnte unmöglich ein Mensch sein. Vielleicht war ein wildes Tier in ihr Zelt geschlichen. Sie konnte es nicht sagen, aber sie spürte die Nähe des Ungeheuers, das sie belauerte. Kate wusste, dass die kalten Augen des Wesens fest auf sie gerichtet waren, auch wenn sie nichts sehen konnte. Die Nacht war von solch vollständiger Dunkelheit, dass sich ihre Augen nicht daran gewöhnen konnten.

Kate wagte keine Bewegung. Sie war sich sicher, dass es sie zerfleischen würde, wenn Sie auch nur die leiseste Bewegung machte. Flach atmend harrte sie aus, in der Gewissheit, dass ihr rasendes Herz sie verraten würde. Wieder tropfte der Geifer in ihr Gesicht, es musste fast über ihr stehen, angezogen von der Hitze, die ihr Körper ausstrahlte.

Etwas Schweres stemmte sich auf ihre Brust und nahm ihr mit Gewalt den Atem. Kate war der Panik nahe, wenn sie jetzt einatmete, musste die Kreatur sich ihrer Nähe bewusst werden. Sie hielt den Atem an, bis sie glaubte, das Bewusstsein zu verlieren, als sich das Gewicht sich von ihrer Brust auf den Bauch verlagerte. Sie spürte, wie sich eine scharfe Kralle durch das Futter des Schlafsacks bohrte und in ihre Bauchdecke schnitt.

Dann war es plötzlich wieder verschwunden, der verfaulte Geruch hing noch einige Zeit im Zelt, aber Kate spürte, wie die Hitze nachließ, die Angst langsam nachließ. Es dauerte Minuten, bis sich Kate wieder einigermaßen beruhigt hatte und schließlich dachte sie, sie hätte einen fürchterlichen Albtraum gehabt.

"Wieso ist das Licht aus?"

"Lars?"

"Hast du jemand anders erwartet?"

Kate fiel ein Stein vom Herzen, ihre Fantasie musste ihr einen fürchterlichen Streich gespielt haben, im Schwarzwald gab es keine wilden Tiere.

"Endlich lugte die Taschenlampe wieder ins Zelt und blendete Kate für einen Augenblick, bevor Lars mit einem Paket ins Zelt kletterte.

"Ich glaub‘ du hast ein Sabberproblem." Lachte er und legte ein Handtuch über die Geiferpfütze neben Kates Kopf, bevor er den Kuchen auswickelte.