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Marcus Haas

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Subcity (3. Teil)

Juma fuhr langsam die Küste entlang, er war heute weit draußen gewesen mit den Touristen, die er am Morgen aufgelesen hatte. Es war ein guter Tag für ihn gewesen.
„Das war toll mit den Delphinen.“ Freute sich das kleine Mädchen Janina, wobei sie sich weit über die Bordwand des Katamarans legte und das Wasser durch ihre Finger strömen ließ. Ihr Vater sah ein bisschen bleich aus, aber er ließ sich nichts von seiner Seekrankheit anmerken, und stimmte seiner Tochter zu.
„Und wie die gesprungen sind.“ Lachte das ältere Ehepaar. Und Herr Jones machte mit der Hand ausladende Wellenbewegungen, um zu Zeigen wie die Tiere aus dem Wasser geschossen waren.
Juma liebte es, wenn so viel Leben unter den Touristen war.
Plötzlich heulte hinter ihnen eine Sirene auf. Juma schaute sich erstaunt um, so was war er von der Küstenwache nicht gewohnt. Das Schnellboot schloss schnell zu seinem Katamaran auf, Juma holte die Segel ein und wartet, bis sie längsseits gekommen waren.
„Wahrscheinlich ist mein Bremslicht nicht in Ordnung.“ Wandte er sich an seine Gäste, bevor er sich in der Landessprache Swahili an die Beamten wandte.
„Jambo, was gibt’s denn?“
„Sijambo. Du musst umkehren.“
„Wieso, ich bring‘ die Leute grade zurück zu ihren Hotels.“
„Das geht nicht. Wenn du nicht freiwillig umkehrst, müssen wir dein Boot beschlagnahmen.“
„Ich hab‘ keine Wahl was?“
„Nein, wir haben unsere Befehle.“
„Toll, wie soll ich das meinen Gästen beibringen.“
„Man wird dich aufklären, wenn du die Küste runterfährst, am nächsten Hotel warten noch andere.“
„Na gut. Kwa Heri.“
„Kwa Heri.“
Juma setzte das Segel und wendete das Schiff, dafür würde er bestimmt kein Geld bekommen, wenn er seine Gäste nicht zu den Hotels bringen konnte, aber ihm blieb nichts anders übrig. Er beobachtete die Patrouille, wie sie ihren Weg an der Küste entlang fortsetzte.

„Wir müssen eine Nachricht nach draußen bringen.“ Der Mechaniker und Jens saßen etwas abseits von den anderen, es gab keinen Grund ihre Bedenken zu diesem Zeitpunkt öffentlich bekannt zu geben.
Jens nickte. Es gab ein Rettungssystem hier unten, drei Notkammern, die einen Aufstieg selbst aus hundert Metern Tiefe ermöglichen sollten. Aber das war rein theoretisch, praktisch musste man schon zu einer gut trainierten Navy-Crew gehören, um diese Tortur zu überleben. Zwei der Kammern befanden sich in den Wohnquartieren, an der Schleuse zum Kommandostand, viel zu riskant die Luke dahin noch einmal zu öffnen, sie wussten nicht, wie stabil die Hülle in diesem Bereich war. Die Dritte war gleich bei der Andockschleuse, es gab eigentlich keinen Platz, wo sie sinnloser wäre.
Die Idee war, dass die zu rettende Person in einen der roten Schutzanzüge begab, und die Kammer dann geflutet wurde, während man Luft in den Anzug blies. Der zunehmende Druck würde einem die Trommelfelle platzen lassen, wenn man das Valsavamanöver nicht schnell genug hintereinander ausführen konnte. Viel Schlimmer war, dass die sich ausdehnende Luft in der Lunge mit Sicherheit eine tödliche Gasembolie auslösen würde, wenn die Lunge riss, und Luft in den Blutkreislauf gelangte.
„Wir könnten mit einem der Anzüge eine Nachricht nach oben bringen. Der eingebaute Sender würde schon dafür sorgen, dass sie gefunden wird. Aber dazu müssen wir erst mal an eine der Kammern herankommen.“
„Schauen wir uns doch die Hauptschleuse an, bevor wir uns weitere Gedanken machen.“ Es war erfrischend einen Praktiker hier unten zu haben, der nicht aufgab, sich immer optimistisch gab. Jens wusste nicht ab Hans nur schauspielerte, oder ob er wirklich durch nichts zu beeindrucken war. Was spielte das schon für eine Rolle.
Jens stemmte sich in die Höhe und folgte dem anderen zur Hauptschleuse, es war gar nicht so lange her, dass Maren und Jens nur knapp hindurchgesprungen waren, aber irgendwie schien hier unten eine Ewigkeit vergangen zu sein.
Durch das kleine Fenster konnte er keine Schäden in der Schleuse erkennen, aber er konnte auch nicht bis auf den Boden schauen, so sehr er auch den Kopf verrenkte. Es könnte sein, dass der Raum schon zu einem Drittel mit Wasser gefüllt war, oder er konnte ganz trocken sein. Was Jens aber sehen konnte, war, dass hinter dem Fenster der nächsten Schleuse nur schwarz zu sehen war, und das war alles, was Jens sehen musste, um zu wissen, dass das Passagiershuttle nicht mehr länger da war.
„Ich kann in der Schleuse keine Lecks sehen, aber mein U-Boot ist zweifellos ein Totalverlust.“
„Kein Grund sich darum Gedanken zu machen, wenn man nichts mehr ändern kann.“ Murmelte Hans mehr zu sich selbst als zu Jans und begann die Schrauben der Kontrollbox zu lösen. Jens notierte sich im Geiste eine Eingabe an die Designer dieser Stationen, dass unbedingt ein Override eingebaut werden musste. Diese Schleusen sollten schützten, aber sie konnten auch einsperren.

Manal drückte den Gashebel nach vorn, wieder einen Katamaran zurückgeschickt. Er war sich nie bewusst geworden, wie viele wirklich mit den Touristen ihr Geld verdienten. Aber er hatte sonst auch andere Aufgaben. Sein Schnellboot war angeschafft worden, um Menschen aus Seenot zu retten, nicht um an der Küste zu patrouillieren. Die besonderen Umstände hatten ihn hierher gebracht.
Noch war nichts Besonderes zu sehen, aber sie konnten nicht mehr weit weg sein. Alles, was er hatte, war ein schlechtes Fax eines Satellitenbildes. Immer wieder verglich er es mit der Seekarte, die neben ihm lag.
„Steuerbord voraus!“ rief Mosi, sein erster Offizier. Manal folgte mit den Augen seinem ausgestreckten Arm. Es waren die weitesten Ausläufer der Flutwellen, deren Folgen sie hier sahen, es begann eigentlich recht harmlos aber es wurde schlimmer mit jedem Kilometer, den sie in das Katastrophengebiet vorrückten.
Manal drosselte die Geschwindigkeit, er war sich nicht sicher, wieweit er seiner Karte noch vertrauen konnte. Die Küste hatte sich dramatisch verändert. Alles war mit Schlamm bedeckt, die Mangroven, die sonst an den flachen Stellen zu finden waren, waren verschwunden. Soweit Manal vom Wasser aus ins Land schauen konnte, konnte er kein stehendes Haus erkennen, geschweige den die vielen kleinen Hütten, in den die ärmsten ihr Heim fanden. Zerschmetterte Boote, zerstörte Autos. Hier und da brannte eine zerrissene Gasleitung, obwohl man doch annehmen sollte, dass das Wasser so, was gelöscht haben sollte. Es war nicht wichtig, Mosi und Manal suchten nach Überlebenden. Einmal dachten sie, sie hätten jemanden gefunden, der sich in eine wie durch ein Wunder stehen gebliebenen Mangrovenbaum gerettet hatte. Mit einem Schock mussten sie feststellen, dass dem verschlammten Körper der Kopf und ein Arm fehlten. Manal war sonst hart im Nehmen, aber bei diesem Anblick drehte sich ihm der Magen um. Das hier schien niemand überlebt zu haben.
Manal griff nach dem Funkgerät und gab seinen Bericht ab, vielleicht hatten die Polizisten, die von Land aus in das Gebiet vorstießen mehr Erfolg. Manal bezweifelte das, die Straßen waren mit großer Wahrscheinlichkeit unpassierbar.

Die Schleuse stoppte auf halbem Wege, Wasser strömte ihn entgegen, Jens sprang erschreckt zurück, das hatte er ganz vergessen. Aber es war nicht so schlimm wie es hätte sein können, trotz des scharfen Strahls, der hineinschoss, sah die Kammer noch ganz stabil aus.
Der Spalt war breit genug, dass sich auch Hans hindurchzwängen konnte, wenn er seinen Bauch ein wenig einzog. Jens folgte ihm und sah sich um, kein Zweifel, sein U-Boot war nicht mehr da, die Scherkräfte hatten den Körper des Bootes einfach vom Turm abgerissen. Die Reste des Einstiegsturmes schienen noch außen an der Schleuse zu hängen.
Da war die Kammer, selten beachtet und glücklicher weise nie gebraucht, daneben den Schrank mit den roten Kunststoffanzügen, eng gepackt und hoch gestapelt. Das war kein Rettungssystem, das einer Panik standhalten würde, aber welches tat das schon. Das hier war etwas für trainierte Profis, keine Ahnung, wer auf den Gedanken gekommen war, hier so was zu installieren. Wahrscheinlich war das billiger gewesen als eine Phalanx kleiner Rettungsboote.
Die Nachricht, die sie zusammengestellt hatten, war nicht mehr als ein paar Zeilen auf einem Stück Papier und das in einer Folie, die sie so gut es ging abgedichtet hatten. Jens nahm den obersten Overall aus dem Schrank, nachdem Hans das Schloss aufgebrochen hatte, dabei viel ihm die Nasenklammer vor die Füße, notwendig um die Nase für den Druckausgleich zu verschließen.
„Das ist doch viel zu groß für unseren Hilferuf.“
„Dann knote doch Arme und Beine zusammen.“
Sie verpackten ihren Notruf so gut es ging, und legten das Paket in die enge Kammer, nachdem Jens den Druckluftschlauch angeschlossen hatte. Dann wurde die Luke wieder geschlossen, und Hans drückte den großen roten Knopf. Das Wasser strömte mit unbarmherziger Gewalt in die Kammer. Der Anzug blähte sich auf, und schwamm auf den rasch steigenden Fluten. Hoffentlich verfing er sich nicht irgendwo, wenn der Schlauch nicht abriss konnten sie die Luke nicht schließen und keinen zweiten Versuch unternehmen.
Aber der Schlauch wurde schließlich wieder abgerissen, als das Paket nach oben schoss und die Luke schloss sich wie vorgesehen. Sie pumpten das Wasser wieder aus der Kammer, im Moment brauchten sie sich noch keine Sorgen um die verfügbare Luft machen, das Problem würde später auf sie zukommen, wenn sie so lange überleben konnten.
Zur Sicherheit schickten sie noch zwei weitere Botschaften hinter der Ersten hinterher. Vielleicht würden sie die Prozedur zu einem späteren Zeitpunkt nochmal wiederholen. Sie wussten nicht, wie lange es dauern würde, bis man den Notruf auffischte, oder wie lange man für einen Rettungseinsatz brauchen würde. Viel zu viel war hier vom Zufall abhängig.

Ahmed näherte sich Subcity vorsichtig, die starken Scheinwerfer erhellten den Meeresgrund wie eine Mondlandschaft, fremd und leer. Nicht dass es in dieser Tiefe jemals viel Leben gegeben hätte, aber die Grundwelle hatte auch noch die letzten Reste mitgerissen. Der Schlamm legte sich nur langsam, das Wasser war trübe, und das Licht der Scheinwerfer endete schon nach wenigen Metern in der undurchsichtigen braunen Brühe.
In der Relaystation hatten sie von der Gewalt der Welle nichts gespürt, es war ein seltsames Gefühl jetzt an diesen Ort zu kommen. Er fragte sich, ob Subcity der Belastung standgehalten hatte oder, ob er ihre Fundamente leer und verwüstet vorfinden würde.
Unerwartet tauchten dann die Umrisse der Station vor ihm auf, sie hing ein wenig schief auf ihren Stahlträgern, gewaltige Kräfte mussten hier gewirkt haben.
Ahmed näherte sich der Station von den Wohnquartieren her zuerst glitt sein U-Boot über die Kommandoeinheit hinweg, sie war fast abgerissen worden. In Licht der Scheinwerfer konnte er den breiten Spalt sehen, auch durch die Bullaugen der kleinen Wohnzylinder konnte er kein Licht und kein Leben entdecken. Oh Gott, was war hier nur passiert, endlich tauchte der große Zylinder mit den Geschäften für die Touristen vor ihm auf.
Ahmed wäre vor Freude in die Luft gesprungen, wenn sein winziges Zweimann-U-Boot das zugelassen hätte. Er traute sich nicht so nah an die Bullaugen heran, um einen Blick hineinzuwerfen. Ahmed hatte Angst, dagegen zu stoßen.
Vielleicht konnte er andocken, und sich nach der Lage erkundigen, bevor er zur Oberfläche aufstieg, um Hilfe zu holen. Er wagte kaum daran zu denken, was ihn auf Null Meter erwarten würde.
Endlich erreichte er den Dockingbereich, aber der Stutzen sah seltsam aus. Dann sah Ahmed, dass hier eines der Shuttleboote angeflanscht gewesen sein musste. Die Gewallt des Wassers hatte das Boot einfach abgerissen. Die Schleuse war geschlossen, aber es war nicht sehr wahrscheinlich, dass sie noch zu benutzen war.
Mit einem Male stieg ein Schwall Luftblasen auf, Ahmed riß die Kontrollen zurück, wenn die Station jetzt implodierte würde er das nicht überleben. Sekunden später sah er das kleine rote Paket im Scheinwerferlicht aufsteigen, irgendjemand benutzte dieses komische Rettungssystem, um etwas an die Oberfläche zu schießen.
Es gab hier im Moment nichts, was Ahmed noch machen konnte, er beschloß dem Paket zu folgen und dafür zu sorgen, dass es auch oben ankommen würde. Während er langsam aufstieg überholten ihn noch zwei weitere von diesen Dingern, es war nicht leicht sie in dem trüben Wasser auszumachen, aber es sah so aus, als hätte jemand die Schutzanzüge zusammengeknotet.