Kurzgeschichten

lesen, schreiben und veröffentlichen

Marcus Haas

Zum Menü.

Subcity (5. Teil)

Endlich kam eine Antwort.
„Kann hier jemand Morsen?“ Fragte Jens in die Menge, die sich um ihn herum versammelt hatte. Irgendjemand musste doch dieses verdammte Alphabet aus Punkten und Strichen kennen. Endlich hatten sie Kontakt zu jemandem.
„Ich kann’s ein bißchen.“ Meldete sich schließlich ein Junge zu Wort, er konnte nicht viel älter als zwölf sein.
„Sehr gut, kannst du dem da draußen sagen, wie viele hier unten sind?“
„Ich, ich denke schon. Ich muss das aber erst aufschreiben.“
Es war nicht leicht, zuerst den Satz, dann die Transkription und endlich konnten sie die Nachricht gegen die Wand hämmern. Es dauerte viel zu lange für Jens Geschmack, aber es schien zu funktionieren. Und als sie die erste Antwort bekamen hatte das kleine U-Boot da draußen auch das Bullauge entdeckt, aus dem heraus die probenden Finger der Taschenlampen seine Aufmerksamkeit zu erhaschen suchten.
Die Rückübersetzung war fast genauso kompliziert, aber endlich erfuhren sie, dass man von ihnen wusste, und das Hilfe angefordert worden war. Der Jubel der ausbrach, war kaum zu Bremsen.
Auch Jens war von der euphorischen Stimmung mitgerissen worden, aber er bremste sich bald wieder, sie waren noch nicht gerettet, noch lange nicht.
„Er will wissen wieviele wir hier sind?“
„57.“ Antwortete Maren schnell. Sie war die Einzige, die hier unten wirklich den Überblick behalten hatte.
„Wie lange wird das DSRV brauchen, Jens?“
Er zuckte mit den Achseln. „Ich weiß nicht, von wo es geholt wird.“ Antwortete er ihr. „Einige Stunden vielleicht.“
Und als ob Subcity sie an ihre verzweifelte Situation erinnern wollte erzitterte sie und das metallische Kreischen erfüllte ihre kleine Kammer einhundert Meter unter der unerreichbaren Wasseroberfläche.
Jens wandte sich ab, er wusste nicht wie er sich jetzt fühlen sollte, klar es würde Hilfe kommen, aber bis dahin konnte es für die Eingeschlossenen längst zu spät sein. Er begann wieder einen seiner Rundgänge, seine Beschäftigungstherapie wie er es insgeheim nannte. Jens versuchte gegen das Gefühl der Unsicherheit anzukämpfen, die Angst zurückzudrängen, es gelang ihm nicht.
Das Kreischen des gequälten Stahls um sie herum schien jedes mal länger anzuhalten, wenn sich das instabile Gleichgewicht weiter verschob, weiter in Richtung Kollaps. Ja, aus dem Rinnsal war ein kleines Bächlein geworden, das sich die Wände herunterschlängelte, irgendeine Schweißnaht gab unter dem Druck von mehr als elf Bar langsam ihren widerstand auf. Jens konnte das gut nachfühlen, er war selbst kurz davor aufzugeben.
Das Schott, das die Läden von den Wohnquartieren trennte war kalt. Das Meer hatte sie sich zurückgewonnen, es würde auch zu ihnen kommen. War es nicht überheblich gewesen dem Ozean einen Lebensraum abringen zu wollen, gab es an Land nicht genug Platz, hätte man es nicht bei den Bohrplattformen und Forschungsstationen belassen sollen. Bei Menschen, die die Gefahr kannten und sich darauf einließen. Aber Jens wusste, dass das nicht stimmte. Die Menschen hier bei ihm waren Pioniere, genau wie diejenigen, die damals nach Amerika gegangen waren. Es würde immer Rückschläge geben, aber aufgeben würden die Menschen nicht, bis sie auch diesen Lebensraum für sich erobert hatten.

Manal und Mosi warteten ungeduldig, bis Ahmed endlich wieder auftauchte. Und außer Warten blieb den beiden ohnehin nicht viel zu tun.
„Wie sieht‘s da unten aus?“ Erkundigte sich Manal neugierig, als Ahmed endlich die Oberfläche durchbrochen und die Luke aufgestoßen hatte.
„Nicht gut. 57 Personen sind da unten. 16 zum Teil schwer verletzt.“
„Und die Integrität der Station?“
„Instabil. Ich kann nicht sagen, wie lange die Subcity noch stabil bleibt. Wie siehts hier oben aus? Ist endlich Hilfe unterwegs?“
„Ja. Die Südafrikaner schicken uns ihr neues deutsches DSRV, das Tragflächenboot kann in drei bis vier Stunden hier sein.“
„Na das ist ja endlich mal ´ne gute Nachricht.“ Ahmed verschwand kurz unter Deck, tauchte aber kurz darauf schon wieder auf. „Ich hab‘ genug Preßluft, um nochmal runterzugehen. Ich werde beschied sagen, dann komm ich gleich wieder hoch.“
„Ja, mach‘ das. Wird ihnen etwas auftrieb geben, zu hören, dass Hilfe unterwegs ist.“
Manal schaute dem kleinen rotweißen U-Boot nach, wie es wieder in der Tiefe versank. Es war gut zu wissen, dass dieser Einsatz endlich zu einem Ende zu kommen schien.
Soweit Manal sich von den Rettungsmannschaften an Land auf dem Laufenden halten ließ, waren Kilifi und Watamu von der Flutwelle nahezu komplett überrollt worden. Es hatte mehr als siebenhundert Tote gegeben und nahezu ebensoviele Verletzte. Das Rote Kreuz war gerade in diesem Moment dabei Zeltlager aufzurichten und medizinische Ausrüstung in das Katastrophengebiet zu bringen.

Jens wurde sich erst bewusst, das er geschlafen hatte als er durch das Kreischen des Stahls aus seinem Traum geweckt wurde. Im nächsten Moment konnte er sich schon nicht mehr erinnern, was er gerade geträumt hatte. Er rappelte sich auf, was nicht so leicht war auf dem schwankenden Boden.
Das war’s dann also. Gleich würde alles zusammen brechen und sie würden von tausend Tonnen kalten Wassers zerquetscht werden. Er sah die Panik in den Augen der umstehenden Personen, die sich angstvoll aneinander und den sich windenden Wänden abzustützen suchten. Einige waren in Tränen ausgebrochen, wieder andere knieten und beteten. Jens war nie ein religiöser Mensch gewesen aber jetzt war er doch froh, dass auch jemand an ihr Seelenheil dachte.
Dann kam die gleitende Bewegung der Station mit einem lauten Krachen zum Stillstand. Lauter als Jens das unter Wasser für möglich gehalten hätte. Subcity neigte sich noch ein paar Grad nach Steuerbord und dann herrschte plötzlich totenstille. Die Stahlträger hatten endlich nachgegeben, die Unterwasserstadt lag jetzt fest auf dem Meeresgrund.
Scharfe Wasserstrahlen schossen an wenigstens sieben verschiedenen Lecks in die Kammer, fünf der Einbruchstellen identifizierte Jens unbewußt als die ihm schon bekannten Schäden. Die beiden anderen waren Neu.
Sie würden sterben, Jens war sich da plötzlich ganz sicher. Es war ein seltsames Gefühl sich dieser Gewißheit bewusst zu werden. Er hätte erwartet, dass er in einer solchen Situation in Panik geraten würde. Aber Jens fühlte sich ganz ruhig. Sicher eine menge Adrenalin schoss durch seine Adern und betäubte die Sinne aber was Er spürte war nur eine unendliche Resignation und eine ungewohnte Ruhe.

Das kleine U-Boot machte einen Satz rückwärts, als Ahmed sich der Station näherte. Ahmed schlug mit dem Kopf gegen die harte Stahlwand und verlor kurz das Bewußtsein. Als er nur Sekunden später benommen durch die Bullaugen schaute sah er, dass Subcity verloren war. Über ihm rasten die Luftblasen in die Höhe, zum Licht.

Manal wusste, das jetzt jede Hilfe zu spät kommen würde als das Wasser vor dem Bug seines Patrouillenbootes zu Kochen begann. Er starrte in die Luftblasen, die die Oberfläche des Ozeans durchbrachen und fragte sich, welche dieser Blasen die Seelen der Toten trugen.