Kurzgeschichten

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Marcus Haas

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Subcity (2. Teil)

Es war ein wunderbar sonniger Tag am Strand von Watamu, es wehte eine leichte Brise, die für einen Hauch von Kühlung sorgte.
Homer Greenwich feilschte mit einer Gruppe von Frauen um ein Seidentuch, mit dem er seine Frau überraschen wollte, die zwischen den Felsen, die in der Bucht standen hin und her schwamm. Homer war ein wenig rot von der starken Sonne, aber nach fast einer Woche in Kenia war das nur halb so wild, ein leichter Sonnenbrand, davon würde er sich seinen Urlaub nicht verderben lassen. Nach zwanzig Jahren endlich wieder mal allein in Urlaub fahren, ohne die Kinder ohne allen Stress. Sie hatten sich auf den Liegen Braten lassen das Essen genossen und auch schon eine fantastische Safari in den Tsavo Nationalpark gemacht.
Am Liebsten wär‘ er gleich da geblieben im Taita Hills Tented Camp, konnte es etwas Schöneres geben, als morgens vom Geschrei der wilden Affen geweckt zu werden und beim Kaffee den Sträußen zuzuschauen, die sich ihren Anteil vom Kuchen stibitzen wollten.
Er einigte sich schließlich mit der dünneren der beiden Frauen auf einen Preis, von dem sie zwar behauptete er würde sie in den Ruin treiben aber, nach einer Woche in Kenia wusste Homer, dass es beim Handeln um den Spaß ging, den man dabei hatte. Er verabschiedete sich mit den einzigen beiden Worten, die er auf Swahili aufgeschnappt hatte, und stapfte durch den Tang hinunter an die Wasserkante, es stand hoch. Die Flut hatte vor ein paar Minuten ihren höchsten Punkt erreicht.
Trisha kam ihm entgegengerannt, triefnass und außer Atem warf sie sich um seinen Hals.
„Du solltest auch ins Wasser kommen, es ist wunderbar.“
Homer zog das Tuch hinter seinem Rücken hervor und fing seine Frau damit ein, als sie sich schon wieder in die Fluten stürzen wollte. Sie lachte.
„War gar nicht ...“ Begann Homer aber er kam nicht weiter mit großen Augen und aufgerissenem Mund starrte er auf die Wasserkante. Beziehungsweise auf den Punkt, wo diese eben noch gewesen war. Trischa schaute ihm verwundert in die Augen. „Was ist?“
„Das Wasser.“ In wenigen Augenblicken viel die Bucht fast vollständig trocken, das war nicht die einsetzende Ebbe.
„Oh, verdammt!“ Fluchte er. Am Horizont türmte sich das Wasser auf, das sich eben so plötzlich zurückgezogen hatte. Wie erstarrt blieb Homer stehen, als die Wasserwand auf sie zuraste. Zwanzig Meter, fünfundzwanzig Meter Hoch, bevor sie brach und die Küste unter Millionen Tonnen Wasser begrub. Es sollte doch in Kenia gar keine Tsunamis geben.

Maren hatte schon dafür gesorgt, dass man die Verletzten zu einem Punkt zusammenbrachte, so ließ sich die Versorgung besser koordinieren. Jens hatte Rachid, Marens Mann noch nicht unter den Anwesenden entdeckt, er war sich nicht sicher, ob es das Richtige war, aber er beschloss, ihn vorerst nicht zu erwähnen.
Am Schott hatte der Mechaniker inzwischen die Kontrollkonsole freigelegt, und diskutierte mit zwei Touristen, wie man den Sicherheitsmechanismus überbrücken konnte, ohne ihn dauerhaft zu beschädigen. Es war wahrscheinlich, dass sie die Schleuse noch brauchen würden, wenn die Situation auf der anderen Seite kritisch werden sollte.
„Wie geht’s voran?“
„Nicht gut, der Wassersensor auf der anderen Seite ist nass, glaub‘ ich.“ Mit einem Multitool entfernte er die Isolierung an einem weiteren Draht. „Aber ich glaub‘ wir haben das überbrückt. Ich versuch‘s jetzt.“
Dann verband er die blanken Adern mit einer Münze, gequält heulte der Elektromotor auf, anscheinend bekam er widersprüchliche Signale. „Hey, mach‘ den Draht da los.“ Wandte sich der Mann an einen seiner Zuschauer, der erst verdutzt dreinschaute, ob er denn auch gemeint sei. Aber er fasste sich ein Herz. „Welchen?“
„Den Grünen.“
Sobald der Draht durchtrennt war, zogen sich die Verriegelungen zurück, und das Schott begann langsam aufzuschwingen. Auf der anderen Seite stand das Wasser schon vier oder fünf Zentimeter hoch, aber es kam noch nicht über die Schwelle.
Sieben Menschen warteten schon auf der anderen Seite, schnell packte Jens mit an und brachte die Verletzten zu Maren. Die junge Frau hatte als Stewardess als Einzige eine ordentlich Nothelferausbildung genossen, und schien bisher auch ganz gut zurechtzukommen.
Einen Arzt gab es in SubCity noch nicht, mit vielleicht zwanzig dauerhaften Einwohnern und an die fünfzig Touristen war die Stadt noch zu klein. Aber es gab eine Apotheke, und ihr Besitzer half, wo er nur konnte.
Jens musste sich zusammenreißen, als er zusammen mit dem Techniker den Mann mit dem amputierten Fuß hinüberschleppte, das Handtuch war vom Blut durchgeweicht und er stöhnte nur noch leise unter den unvorstellbaren Schmerzen. Jens hatte keine Ahnung, wie sie ihm helfen sollten. Geschweige denn ihn für die kommenden Stunden am Leben zu halten.
Er war nur dankbar dafür, dass noch keine Panik ausgebrochen war. Vielleicht erwarteten die Mitgefangenen, dass man sie in Kürze retten würde, aber Jens war sich da nicht so sicher.
„Bevor wir das Schott wieder schließen, sollten wir nachschauen, ob da noch was Nützliches zu holen ist.“
Jens nickte und folgte dem Techniker. „Wie heißen Sie eigentlich?“
„Hans.“
„Jens.“ Stellte er sich ebenfalls vor und griff nach der angebotenen Hand.

Samira Abel war die Erste, die sich die Wetterbilder anschaute, zuerst sah sie nichts Ungewöhnliches, es regnete mal wieder am Kilimanjaro, aber sonst herrschte in ganz Kenia wunderbares Wetter, da würde sich der lokale Wetterfrosch aber freuen.
Aber an der Küste war etwas merkwürdig, aber das hatte nichts mit den Wolken zu tun. Samira schob den Gedanken erst mal beiseite und tippte die Wettermeldung. Aber der Gedanke ließ sie nicht los, immerhin war sie schon seit zwanzig Jahren im meteorologischen Institut Nairobis beschäftigt, eigentlich sollte sie Kenia doch in und auswendig kennen. Sie bestellte sich in den Vereinigten Staaten eine Aufnahme der Küstenregion, mit den Aufnahmen der Amerikaner konnten ihre Wettersatelliten einfach nicht mithalten.
Im ersten Moment war sie sich nicht sicher, was sie davon halten sollte, es sah alles ganz normal aus, mit einer Kleinigkeit. Samira musste sich erst mal setzten, bevor sie sich klar wurde, was das bedeutete, was sie da vor Augen hatte. Um Watamu, bis hinunter nach Kilifi konnte sie keine Hauser erkennen. Da waren doch Hotels am Strand gewesen.
Hastig schnappte sie sich das Telefon, sie musste erfahren, was da passiert war. Eine ganze Küstenregion konnte doch nicht einfach verschwinden. Die Aufnahme war nicht so gut, dass man Details erkennen konnte, aber trotzdem sollte mehr zu erkennen sein, als eine braune verschwommene Masse.
Sie starrte auf das Telefon, wen sollte sie denn jetzt anrufen. Wenn rief man denn eigentlich an, wenn Städte und Dörfer vom Erdboden verschwanden. Sie wählte schließlich die Nummer des Hafenamtes, die würden schon wissen, wer zuständig war.
„Hallo, hier spricht Samira Abel, von meteorologischen Institut Nairobi. Ich muss mit ihrem Vorgesetzten sprechen.“ Wie war den der Titel des Vorgesetzten im Hafenamt, sie spürte, wie nervös sie war. War sie die Einzige, die etwas bemerkt hatte, sie konnte doch nicht allein mit ihrer Entdeckung sein.
„Ja.“ Meldete sich nach endlosem Warten eine männliche Stimme. „Hier ist Joseph Furaha. Was kann ich denn für Sie tun?“

Es war ein beunruhigendes Gefühl für Jens, das Wasser hinter den kleinen Bullaugen zu den überfluteten Quartieren zu sehen. Die kleinen Gardinen flatterten in dem vier Grad kaltem Wasser, und er war froh, dass er die Leichen nicht sah, die in dem kalten Sarg eingeschlossen worden waren.
„Wir müssen uns um die Überlebenden kümmern,“ riss Hans ihn aus seinen Gedanken, er hatte recht, für die Toten konnte sie nichts mehr machen. Trotzdem, es viel schwer den Blick abzuwenden.
Das wichtigste waren zweifellos die beiden Erste Hilfe Koffer, die sie gefunden hatten. Einige Decken und Taschenlampen. Jens hatte noch gar nicht daran gedacht, was passieren würde, wenn die Batterien versagten. Dann würde es hier unten sehr schnell kalt werden, zusammen mit der Dunkelheit war das eine unangenehme Vorstellung. Jens hatte nie darüber nachgedacht, wie viele Möglichkeiten es gab, Unterwasser ums Leben zu kommen.
„Wir müssen irgendwie eine Nachricht ´rauskriegen.“ Murmelte Jens, mehr zu sich selbst.
„Du glaubst nicht, dass man uns schnell Hilfe schickt?“
„Wenn ich das wüsste. Wir haben doch nicht die geringste Ahnung, was uns da getroffen hat.“
Hans nickte nachdenklich. „Kein Seebeben?“
Jens zog langsam die Schultern hoch und platschte hinter dem Techniker wieder in Richtung Schott, das Wasser stieg langsam, aber er wollte hier lieber so schnell wie möglich wieder raus.
„Kann ich mir nicht vorstellen. Das war viel zu langsam.“ Er überlegte. „Eigentlich hab ich sowas nur beim Tauchen erlebt, wenn die Dünung in Küstennähe einen hin und her schaukelt.“
„Dünung? In hundert Metern Tiefe?“
„Ja, ich weiß, dass das wahnsinnig klingt.“
Hans drückte die Decken einer wartenden Frau in die und schloss die Luke wieder, nachdem Jens ihm gefolgt war. Mit sattem Klacken rasteten die Verriegelungen wieder ein. Jetzt hatten sie nur noch die Verkaufsröhre und selbst hier musste es Lecks geben, ein feines Rinnsal mäanderte schüchtern die gewölbte Wand hinunter.