"Stell dir vor, ich sei ein Gott, welche Frage würdest du mir stellen?" Ich lächelte den Mann neben mir an der Bar an. Er hatte schon ein paar Bier geschluckt aber eigentlich erschien er mir ganz vernünftig. Und ich war in dieser Stimmung, in der man sich gern über Belanglosigkeiten unterhält.
Nach 7000 Jahren unter den Menschen kam ich nicht mehr allzu oft in diese Versuchung, sie hatten sich weniger verändert, als ihnen das bewusst war.
Er lallte etwas, deshalb begriff ich die Frage zuerst nicht. "Wie?"
"Weiß nich´." Ja, die Antwort hatte ich wohl schon tausendmal gehört, ich gab diesen Geschöpfen die Gelegenheit von meinem umfassenden Wissen zu profitieren und diese Kleingeister wussten nicht einmal, was sie wissen wollten.
"Vielleicht, wann ich sterben werde." Er lachte, als ob das ein großer Spaß wäre.
"Nein, mein Freund, das willst du nicht wissen." Antwortete ich brüsk, konnte mir auch nicht vorstellen, was er tun würde, wenn ich ihm sagte, dass er heute Nacht einen Autounfall haben würde, wenn er sich wiedereinmal betrunken hinter den Lenker klemmen würde, schade um die beiden anderen, die er mit sich reißen würde.
Ich nahm einen Schluck des Hopfensaftes, nun, wenigstens das Bier war besser geworden.
"Ich glaube, die Leute wollen gar nicht alles wissen." Hörte ich eine Stimme hinter mir, eine Frau, etwa dreißig, einmal verheiratet und einmal geschieden. Ich drehte mich langsam um und schaute ihr tief in die braunen Augen.
"Schade, ihnen entgeht einiges."
"Ja, aber in ihren kleinen grauen Zellen reicht der Platz gerade für sich selbst."
Da hatte Sabine völlig recht. "Du kennst die Menschen gut!" Antwortete ich.
"Niemals gut genug. Mit ihnen zum Beispiel kann ich nichts anfangen."
Ich legte den Kopf ein wenig auf die Seite, und zog die Mundwinkel hoch. "Nein?"
"Irgendwie passt du nicht hierhin." Sie stockte. "Ich meine ..."
"Du besuchst diese Bar aber auch nicht besonders oft, oder?"
"Nein, ich hab nur meinen Bus verpasst."
"Und ich hab mir die Menschen hier angesehen."
"Bist du Soziologe oder sowas?"
"Oh ich bin viel gewesen in meinem Leben." Mir gefiel die Unterhaltung.
"So alt siehst du aber nicht aus."
Ich hätte fast gelacht. "Ja, man sieht mir mein alter nicht an, nicht wahr."
"Wo kommst du her?"
Ich wollte gerade Sumer sagen, aber ich überlegte mir das nochmal, war vielleicht noch ein wenig zu früh dafür. "Hamburg."
"Ich meine ihre Vorfahren, sie machen irgendwie ´nen arabischen Eindruck auf mich."
Ob das Mädchen wusste, dass auch in ihren Adern das Blut eines Emirs zirkulierte.
"Gut, geboren bin ich am Tigris."
"Irak?"
"Ja, aber ich bin noch ´ne ganze Weile vor Hussein ausgewandert."
"Und jetzt sitzt du hier und fragst die Leute, welche Fragen sie Gott stellen würden?"
"Am meisten lernt man über die Menschen, wenn man die Fragen kennt, die sie beschäftigen."
Sie nickte zustimmend, das schien ihr wohl einzuleuchten.
"Glaubst du an Gott?"
"Einen bestimmten?"
Das schien Sabine nicht sehr witzig zu finden.
"Entschuldige, die Menschen haben in ihrer Geschichte eine Unzahl von Göttern und Dämonen geschaffen und auch genauso viele wieder gestürzt. Was ich wirklich glaube, ist, dass jeder den Gott bekommt den man verdient."
"Witzig, dass wir in dieser Kaschemme über solche Sachen reden."
"Dieser Platz ist so gut wie jeder andere." Und ich kannte eine ganze Menge, es war nicht der Ort, es waren immer die Menschen. "Aber wir können auch woanders hingehen."
"Ich wollte eigentlich nur nach Haus."
"Da kann ich dich auch hinbringen, wenn dir das nichts ausmacht." Es machte ihr nichts auch, auch wenn das ursprünglich nicht ihr Plan gewesen war, als sie die Bar betreten hatte.
"Das wär´ nett." Stimmte sie zu.
Ich nahm den Schlüssel meines Tresennachbarn, drei Menschen weniger, die in dieser Nacht ihr Leben verlieren würden. Sollte er sich doch ein Taxi nehmen.
"Gut, komm. Das Auto steht gleich um die Ecke."
Es war ein dunkelblauer Audi 80, wen kümmerte das. Normalerweise ging ich zu Fuß, immerhin hatte ich alle Zeit der Welt.
"Hübscher Wagen." Sie legte den Gurt an, und schaute zu mir herüber. "Was arbeitest du?"
Sollte ich der jungen Frau erzählen, dass ich noch eine Goldmine in Namibia besaß. "Versicherungen." Antwortete ich. Das war nicht wirklich falsch, immerhin konnte ich den Menschen so einiges versichern, ob sie mir das auch glauben würden, das war natürlich ihre Sache.
"Hört sich nicht sehr aufregend an."
"Ist es auch nicht." Antwortete ich und startete den Wagen.
"Schwachhauserstr. 23." Sagte sie kurz, und ich verkniff mir das, ich weiß.
"Stell dir vor, du könntest ein Leben retten." Ich war grad´ mal wieder in dieser komischen Stimmung. "Würdest du das des Familienvaters retten, oder das der Mutter mit ihrem Kind."
"Mutter und Kind sind zwei."
"Ja, aber das Kind ist noch nicht gegoren und die Mutter weiß auch noch nichts davon."
"Ich weiß nicht, das der Mutter vielleicht. Du machst es einem auch nicht besonders leicht."
"Das Schicksal macht es einem niemals besonders leicht." Ich hielt den Wagen an der nächsten Kreuzung. "Warte eine Sekunde."
Die Straßen waren dunkel und leer aber in der Ferne konnte ich schon den Golf hören, der mit überhöhter Geschwindigkeit die Hauptstraße hinunterkam. Sie sah mich noch rechtzeitig und stieg in die Eisen, drei oder vier Sekunden würden ausreichen.
Sie hatte Mühe den PKW unter Kontrolle zu halten aber mit kreischenden Reifen kam sie knapp ´nen halben Meter vor mir zum Stehen. Ich schaute der jungen Frau tief in die Augen, in denen sich der Schock tief eingegraben hatte.
"Was zum Teufel ..." Schrie sie aus dem geöffneten Fenster, außer sich.
"Ihr Leben schenke ich ihnen heute. Achten Sie in Zukunft auf sich und ihr ungeborenes Kind." Sie wollte noch etwas Sagen aber ich war schon wieder auf dem Weg zu meinem Wagen. Sabine hatte das Intermezzo mit aufgerissenen Augen verfolgt.
"Was sollte das denn werden? Bist völlig irre, oder was?"
"Für den Familienvater kann ich jetzt nichts mehr machen." Antwortete ich und genoss die Überraschung auf ihrem Gesicht.
"Du bist völlig übergeschnappt. Lass mich hier aussteigen."
Ja, das hatte ich beinahe erwartet. "Was ist dein Problem?"
"Oh Mann. Du stellst dich mitten auf die Straße und wartest, dass du übergemangelt wirst. Und mich fragst du, was mein Problem ist."
"Ich weiß, was ich mache. Was man von den meisten Menschen nicht sagen kann."
"Danke fürs Mitnehmen, aber ich Steig hier aus."
Sie stieg aus, ich blickte der jungen Frau noch eine Minute hinterher, dann ließ ich den Wagen stehen und ging meiner Wege.