Kurzgeschichten

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Marcus Haas

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Subcity

„Alles anschnallen, und das Rauchen einstellen,“ grinste Jens in sein Mikro, zehn Passagiere hatte er heute, das war eigentlich guter Durchschnitt. Am verhaltenen Lachen merkte er, dass sein Witz angekommen war. Ganz sicherlich würde es keine Turbulenzen geben, eine sanfte Strömung, wie immer, das war alles.
Maren schloss die Luke und setzte sich neben ihn. „Alles klar Jens, es kann losgehen.“
Er warf den MHD-Antrieb an, und langsam setzte sich das U-Boot in Bewegung, während das Magnetfeld langsam auf 20 Tesla hochgefahren wurde. Das genügte, um bei der angelegten Hochspannung eine konstante Höchstgeschwindigkeit von 35 Knoten zu erreichen. In der Pilotenausbildung hatte man ihm erzählt, dass der magnetohydrodynamische Antrieb auf dem Hall-Effekt beruht, der besagt, dass eine bewegte Ladung senkrecht zum Magnetfeld abgelenkt würde. Jens kam mit großer Regelmäßigkeit mit seinen Fingern durcheinander, wenn er seinen Passagieren den Effekt erklären wollte. Geschwindigkeit der Ionen im Meerwasser, durch das elektrische Feld beschleunigt in Richtung Daumen, Magnetfeld als Zeigefinger, und der Mittelfinger zeigt dann in die Richtung der Kraft, in welche die Ionen abgelenkt werden. Das gab dann den Rückstoß, der das Boot vorantrieb, und einem Krampf im Handgelenk.
Sobald sie einige Meter vom Pier entfernt waren drückte Jens den Sidestick leicht nach vorn, sie begannen zu sinken.
Er schaute sich kurz nach seinen Gästen um, einige waren schon öfter mit ihm gefahren und zeigten sich wenig beeindruckt. Die anderen aber drückten sich die Nasen an den großen Fenstern Platt. Wer nicht gerade in seiner Freizeit tauchte, hatte diese Aussicht bestenfalls mal im Fernsehen gesehen, das war allerdings nicht dasselbe.
Sie würden allerdings nicht lange an den Riffen entlangschweben, schon bald mussten sie die Küste hinter sich lassen, und auf 50 Meter Reisetiefe gehen. Die Unterwasserstadt lag in einer Tiefe von 110 Metern. Im Riff selbst wollte man den Bau vor drei Jahren nicht zulassen, aus Angst vor Schäden am Riff. Nicht alle Länder waren da so zimperlich gewesen aber es lebten auch nicht alle vom Tauchtourismus. Insgesamt waren in den letzten fünfzehn Jahren acht dieser Städte entstanden, aber Subcity war bisher die Einzige für Touristen. Im Norden wurde in solchen Städten Methaneis abgebaut, und im Süden bohrte man nach Erdgas und Öl oder baute Mineralien ab. Und vor Japan hatte man in einem der ersten Habitate mit der Algenzucht begonnen.
„Möchtest du auch einen Kaffee?“
„Gerne Maren.“
„Mit Milch, wie immer?“
„Mhm.“
Das U-Boot stand wieder senkrecht und es war an der Zeit die Passagiere mit Getränken zu versorgen, sie würden zwei Stunden unterwegs sein, wenn nichts Unerwartetes passierte. Jens schalte um auf Autopilot und lehnte sich zurück. Vor der afrikanischen Küste waren 50 Meter schon ein wenig zu viel, um die Riffe bestaunen zu können und das Licht war auch schon etwas schummrig, aber wenn man die Augen offen hielt, konnte man auch hier hin und wieder ein seltenes Tier entdecken. Auch die Schatten hoch über ihren Köpfen hielt Jens immer scharf im Auge, denn von Zeit zu Zeit war es kein Fischerboot und keine alte Dhau, dann war es die dunkle Silhouette eines Walhai. Jens hatte die eleganten Riesen schon viermal gesehen und jedes Mal waren die Ahs und Ohs durch die Reihen seiner Passagiere gegangen. Ein einziges mal war der Hai über ihnen in die gleiche Richtung geschwommen, sodass sie ihn über beinahe zehn Minuten beobachten konnte, das war ein Erlebnis.
„Hier, dein Kaffee.“ Maren setzte sich wieder neben ihn. „Und, was Interessantes entdeckt.“
„Nein, bisher nicht.“
„Pass nur auf, dass du nicht irgendwann mal gegen `nen Berg knallst.“
„Keine Sorge Maren, das Boot hat Kollisionsalarm. Wahrscheinlich kommt der Navrechner besser klar, wenn ich ihm nicht ins Steuer greife.“
„Wofür braucht dich die Reederei denn dann eigentlich?“
„Oh, ich vermute das ist nur Show für die Passagiere.“
Maren lächelte zurück, wenn ihr Mann nicht da unten Arbeiten würde hätte er sie sicher schon mal zum Essen eingeladen.
„Meine Damen und Herren, wir haben jetzt unsere Reisetiefe von 50 Metern erreicht, und bewegen uns mit einer Geschwindigkeit von 30 Knoten, das entspricht etwa 70 km/h.“ Er steckte das Mikro zurück in die Halterung. „Ich werd‘ ganz gut bezahlt für diese Durchsagen.“
„Pass nur auf, dass du dich nicht verplapperst.“
Die Fahrt verlief ohne Besonderheiten, keine großen Tiere und noch nicht mal ein privates U-Boot kam ihnen in die Quere. Aber nach zwei Stunden konnte man über den Steilhang hinweg die Lichter der Stadt sehen, die nur für sie den Weg zur Stadt wiesen. Jens schaltete den Navrechner wieder offline und drückte den Stick sanft nach vorn. Das Andocken wollte er sich nach diesen zwei Stunden der Untätigkeit doch nicht entgehen lassen.

„Vorsicht!“ Rief Ahmed. „Wir lassen die Förderpumpen jetzt anlaufen.“ Endlich war es geschafft, sie hatten die Pipeline fertig gestellt, durch die in Kürze das Methan zu ihnen heraufströmen würde. Hier in der Station würde das Gas dann auf die Tank-U-Boote verladen werden und dann der ganzen Welt als Treibstoff für die Brennstoffzellen dienen. Ein schier unerschöpflicher Vorrat an billiger Energie, größer als alle anderen bisher entdeckten fossilen Brennstoffe.
Plötzlich erschütterte ein Beben die Station, im ersten Moment dachte Ahmed, dass es nur ein fernes Seebeben war, das man bis hier an die Küste spüren konnte, das kam hier schon hin und wieder mal vor. Aber es dauerte viel zu lange.
„Pumpen aus!“ Brüllte er in die Gegensprechanlage. „Ventile dicht.“
Er wusste nicht, ob seine Befehle zu spät kamen, er starte auf die Druckmesser. Dann fiel der Druck bis auf Notniveau, aber viel zu plötzlich, wenn die Notsysteme noch arbeiteten, würde die Förderung jetzt automatisch eingestellt werden. Aber was war mit seinen Männern da unten?“
„Meldet euch, was ist da los?“
„Uns geht’s gut.“ Kam die stark verrauschte Antwort. „Ein Slide!“
Slide, das war die Kurzform für einen Erdrutsch.
„Wo?“
„Einige Kilometer östlich, wir sind dabei unsere Systeme durchzuchecken aber es scheint keine größeren Schäden zu geben.“
„Ja.“ Murmelte Ahmed. „Was ist mit dem plötzlichen Druckabfall?“
„Das war ein Überdruckventil, alles in bester Ordnung, dafür hast du doch auf die Dinger bestanden.“
Die Ventile sollten die Pipeline vor dem Bersten schützen, wenn der Gasdruck plötzlich extrem anstieg. Ahmed hatte da aus den Erfahrungen von anderen Plattformen gelernt, die immer wieder mit Lecks zu kämpfen hatten, wenn eine unter geringem Druck stehende Gasblase unter den Hydratschichten angebohrt wurde. Dann hielten die Pipelines dem Druck in 500 Metern Tiefe nämlich nicht mehr stand.
„Hey, das sollte aber nicht bei einem fernen Seebeben ausgelöst werden. Überprüf das, Rachid.“
„Schon dabei, aber unsere Instrumente zeigen keine Anzeichen für eine Blase, es muss das Seebeben gewesen sein.“
Es herrschte einen Augenblick Ruhe. Ahmed überlegte, da war etwas das nicht zusammenpasste, er übersah etwas, etwas sehr Wichtiges. Dann war es da, wie ein Leuchtfeuer im Dunkel der Nacht.
„Evakuiert die Station, sofort!“
„Bist du noch zu retten? Wenn wir den Laden jetzt zu machen verlieren wir Millionen.“
„Scheiße Mann. Ihr verschwindet da sofort. Das ist ein Befehl. Die Blase, die ihr angebohrt habt, ist instabil.“
„Du bist ja paranoid, der Bubble muss ja riesig sein, wenn unsere Sensoren ihn nicht mehr ...“
Dann brach die Verbindung ab, statisches Rauschen krachte über den Empfänger. Die Verbindung war unterbrochen. Ahmed schüttelte den Kopf. Jetzt war es völlig gleich, ob die Pipeline noch offen war oder nicht. Die Gasblase war eingebrochen, und hatte die Bohrplattform mit hinuntergerissen. Wenn der Erdboden über einer großen Blase einbrach, dann war ein Tsunami unvermeidlich, es konnte nur Minuten dauern, bis die Flutwelle die Küste verwüsten würde.
Hier in der Relaystation würde man von der Grundwelle nicht viel merken aber von Subcity würde in ihrer geringen Tiefe nicht viel übrig bleiben.
Ahmed wählte die Frequenz der Unterwasserstadt, es würde nicht viel helfen, die Leute zu warnen, wo sollten sie auch hin. Trotzdem er konnte sie nicht einfach sterben lassen, die wenigen Minuten, die ihnen blieben, mussten sie wenigstens nutzen können.
Aber Ahmed kam nicht durch, die Leitung war bereits tot.

Jens setzte sein Shuttle sanft gegen die Schleuse, die automatisch in die magnetischen Locks einrastete, es war fast nicht zu spüren, und Jens war jedes Mal ein wenig stolz, wenn er es wieder geschafft hatte, ohne den dicken Rumms anzudocken. Das grüne Licht leuchtete auf und zeigte, dass die Schleuse ausgepumpt und gesichert war.
„Willkommen in SubCity,“ verkündete Jens über sein Mikro. „Ich wünsche ihnen einen angenehmen Aufenthalt, und hoffe, dass sie unseren Service bald wieder nutzen werden.“
Er schaltete das Mikro ab und lächelte rüber zu Maren. „Geschafft, wieder eine Tour sicher in die Stadt gebracht.“
„Pass auf, dass du nicht anfängst, dich zu langweilen.“
Jens zuckte die Achseln, bis er die Lust am Rumschippern unter dem Meer verlieren würde, da konnten noch einige Jahre ins Land gehen.
„Wollen wir noch in die Bar?“
„Nein, tut mir Leid. Ich werd‘ schon erwartet.“
Jens zuckte mit den Achseln, da konnte man nichts manchen. Er drehte sich um, und schauten den Passagieren nach, die das U-Boot verließen, in drei Stunden würden sie zurückfahren, genug Zeit, um sich nach der stickig gewordenen Luft hier unten einen kühlen Milchshake zu genehmigen, bevor er das Boot für die Rückfahrt durchcheckte und auftanken ließ.
Mit einem Male begann die Unterwasserstation zu kreischen, als ob eine unbekannte Kraft sie aus der Verankerung zu reißen versuchte, aber hier gab es doch gar keine Erdbeben. Das Schreien des strapazierten Stahls hielt einige Sekunden an, und wurde stärker. Als ob jemand den Druck plötzlich um ein paar Bar erhöhen würde. Dann platzten die ersten Bolzen aus der Verschalung. Subcity hielt den Scherkräften nicht stand.
„Was?“ Rief Maren, in einem schwachen Versuch den Krach zu übertönen. Der Boden bebte unter ihren Füßen. Sie duckten sich, vor denen, sich in Geschosse verwandelnden Nieten, als sie tiefer in die Zylinder vordrangen, aus denen die kleine Stadt unter dem Meer zusammengesetzt worden war.
Plötzlich schoss ein scharfer Wasserstrahl durch einen feinen Riss zwischen zwei Verbindungsstücken. Die Schotten senkten sich, um die einzelnen Sektionen von einander abzuriegeln.
„Schnell. Wir müssen in den Verkaufsbereich, sonst sitzen wir in der Falle.“
Rasch zog er Maren hinter sich her und stieß sie durch die zugleitende Stahltür.
„Das U-Boot?“
Jens drehte sich reflexartig um, aber bei dem Stress, dem die Station ausgesetzt war, da war sein U-Boot wahrscheinlich schon zerquetscht worden.
In der Ladensektion der Stadt herrschte Chaos, das Licht flackerte, man konnte nicht sagen, wie lange es noch durchhalten würde. Wenigstens fünfzig Menschen liefen panisch durcheinander, drängelten sich um die Fernsprecher oder schrien. Viele waren verletzt, die Läden verwüstet. Die Waren lagen zerbrochen am Boden und einige versuchten verzweifelt sich unter den umgestürzten Regalen zu befreien.
Endlich ließ das Kreischen nach, es hatte höchstens eine halbe Minute gedauert. Jens sah, dass Wasser von den Wänden lief, im oberen Bereich des Zylinders mussten einige Nähte undicht geworden sein. Hoffentlich hielt die Röhre, bis man sie retten konnte.
„Was war das?“ Rief ihn ein älterer Herr an, Jens erkannte ihn als einen seiner letzten Passagiere wieder. Er schüttelte den Kopf. „Wüsste ich auch gern.“
Er drängelte sich zu den Fernsprechern vor, die meisten schienen tot zu sein. Endlich konnte er eine Frau überzeugen, dass sie ihn an das Gerät lassen musste, sie konnte ihren Mann jetzt einfach nicht anrufen. Jens tippte den Code für die Steuerzentrale, hoffentlich waren wenigstens die internen Leitungen nicht beschädigt. Aber auch nach dem dritten Versuch bekam er keine Antwort. Dann versuchte er die öffentlichen Fernsprecher im Wohntrakt.
„Hallo?“
Es war die verängstigte Stimme eines Jungen, die ihm antwortete.
„Hi, wie geht’s dir?“
„Ich kann meine Eltern nicht finden!“
Das war nicht die Antwort, die Jens erwartet hatte. Er überlegte eine Sekunde, es konnte alles möglich da drüben passiert sein.
„Wo waren sie zuletzt?“
„Mein Papa arbeitet im Leitstand.“
Jens schluckte, die Steuerzentrale. „Und deine Mutter?“
„Mama is‘ Einkaufen, aber ich bekomm‘ das Schott nicht auf.“
„Ich bin hier in der Passage, wie hießt deine Mutter.“
„Mama!“
„Ihr richtiger Name.“
„Karmen Hansen.“
Jens wandte sich um und schaute in die Runde, einige hatten schon bemerkt, dass er mit einem weiteren Opfer der Katastrophe sprach und starrten ihm gebannt in die Augen. „Ist hier eine Karmen Hansen?“ Rief er laut, er wusste nicht, wo er nach der Frau suchen sollte.
„Ja.“ Kam die Antwort nur ein paar Schritte weiter, von einem andern Telefon, sie musste auch versucht haben ihren Sohn anzurufen.
„Ich habe ihren Sohn am Apparat.“
Hastig stürzte die Frau zu ihm rüber, sie war vielleicht ende zwanzig, aber ihr Kleid war zerrissen und blutig, Blut sickert ihr über die Schläfe. Sie musste in einem der zerstörten Läden gewesen sein, als das hier passiert war.
„Felix, ist alles in Ordnung? Wieso bist du nicht in der Wohnröhre geblieben?“
Ihr Gesicht wurde bleich, als sie seine Antwort bekam. Sie wandte sich an Jens. „Er sagt, dass Wasser unter dem Bett vorkommt.“
„Er soll zurückgehen und das Schott schließen. Fragen sie ihn, ob noch andere Leute da sind.“
Sie nickte, und sprach weiter beruhigend auf ihr Kind ein, dann wandte sie sich wieder um. „Die Kamils sind noch da, und schon dabei die leckgeschlagenen Quartiere abzuriegeln.“
„Sehr gut. Würden sie ihm sagen, dass ich gern mit einem Erwachsenen sprechen würde.“
Sie nickte widerstrebend, es war ihr anzusehen, dass sie Felix gern noch länger getröstet hätte, aber dafür blieb keine Zeit. Es kam jetzt darauf an, den Schaden zu bewerten und sicherzustellen, dass sie überlebten, bis Hilfe eintraf.
Jens winkte einen bulligen Mann, mit dickem Vollbart zu sich heran, es war einer der Techniker der Station. Jens hatte vorhin gesehen wie er anderen geholfen hatte Kunden unter umgestürzten Regalen zu helfen.
„Schauen sie sich das Schott zu den Wohnquartieren an. Lassen Sie sich was einfallen, um es aufzukriegen.“
„Und wenn ich‘s durchbeißen muss.“ Brummte der Mann. „Das schaffen wir schon.“ Dann machte er sich auf den Weg.
Endlich überließ ihm Karmen wieder den Hörer. „Hier ist Jens Germa. Mit wem spreche ich da bitte?“
„Habibi Kamil. Wir haben hier überall Wassereinbrüche.“
„Wir versuchen schon das Schott zu öffnen, wie hoch steht das Wasser.“
„Ein oder zwei Zentimeter.“
„Halten sie durch, wir holen sie da raus, wie sieht‘s sonst aus?“
„Zwei Quartiere sind überflutet, aber die Türen waren verschlossen. Aber ein Mann hat einen Fuß verloren als der Bereich abgeriegelt wurde. Wir haben’s abgebunden aber es sieht nicht gut aus.“
Nein, es sah wirklich nicht gut aus und Jens hatte nicht die blasseste Ahnung, was sie da getroffen hatte. So wie es aussah, wären er und Maren die Einzigen, mit halbwegs offizieller Stellung, die überlebt hatten. Der Leitstand war unerreichbar, die Leitungen zu Oberfläche tot. Wenn es nicht auffiel, dass keine Anrufe mehr oben ankamen, dann würde man sich erst Gedanken machen, wenn sein U-Boot nicht pünktlich im Hafen auftauchte. Sie mussten mindestens vier Stunden rechnen, bis man Verdacht schöpfte, wahrscheinlich viel länger, bis man sich entschied etwas zu unternehmen.