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Marcus Haas

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Challenger Deep

 Ich strich sanft über die glatte Haut der Barrakuda, das erste U-Boot, das nach über vierzig Jahren wieder in den Mariannengraben nach Challenger Deep hinabtauchen sollte, dem tiefsten Punkt der Erde. Aber die Barrakuda hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem schwerfälligen Koloss der Trieste, mit der Walsh und Piccard diesen Weg 1960 bewältigt hatten.

Meine Barrakuda, war ein Deep Flight, im Grunde kein Tauchboot, sondern ein Flugzeug, das mit Tragflächen ausgestattet war, die es nach unten ziehen würden. In einem Winkel von 45° würde ich in nur einer Stunde in den Mariannengraben hinabtauchen und dort über eine Stunde Daten sammeln. Danach waren zwei Stunden für den Aufstieg eingeplant. Insgesamt vier einsame Stunden, in denen ich keinerlei Kontakt zur Oberfläche haben würde, denn abgesehen von einem 11 Kilometer langen Kabel, wie es die Japaner für Kaiko gab es keine Möglichkeit aus dieser Tiefe Signale an die Oberfläche zu senden. Ein Kabel für die Barrakuda war ein Witz, was sollte man mit einem 14 Knoten schnellen Tauchboot, wenn seine Bewegungsfreiheit von einem Kabel eingeschränkt wurde.

Die Barrakuda konnte auch keine Proben nehmen, weil sie um in einer bestimmten Tiefe zu bleiben in Bewegung bleiben musste. Das war ein Sicherheitsbonus, wenn die Elektrik und damit der Antrieb ausfallen sollte, würde das Deep Flight vom eigenen Auftrieb wieder an die Oberfläche getrieben werden. Das Ziel der Mission lag deshalb auch in der Erkundung und Videoaufzeichnung eines möglichst großen Feldes am Boden der Welt, um für zukünftige unbemannte Missionen interessante Ansatzpunkte aufzuspüren. Und selbstverständlich hegte ich die leise Hoffnung da unten diesen Plattfisch zu sehn, von dem Walsh berichtet hatte, dessen Existenz aber nicht bewiesen werden konnte.

Die Barrakuda war nur etwas über zwei Meter lang und bestand im Wesentlichen aus einer mit einer Gummihaut überzogenen Aluminiumoxidkeramik in Form eines Zylinders von einem Meter Durchmesser, gerade genug Platz für eine Person - mich. Vorne war eine Halbkugel aus Plexiglas, sodass man eine hervorragende Rundumsicht hatte, fast wie beim Tauchen. Alles, was nicht vor dem hohen Druck bewahrt werden musste, war außerhalb des Keramikzylinders angebracht, wie Batterien, Antrieb und Sensoren. Die Datenübertragung ins Innere erfolgte drahtlos, um die strukturelle Integrität der Hülle nicht zu beeinträchtigen, jedes Loch bedeutete eine potenzielle Bruchstelle, die man bei 1000 Bar unbedingt vermeiden wollte. In der Röhre war nur eine Liege, die Kontrollen zwei Sauerstoffflaschen und die CO2-Filter. 

Mit der Hilfe meines Technikers kletterte in die enge Röhre und verabschiedete mich, meine Nervosität mit Witzen überdeckend von meinen Teamkollegen. Wenn alles Gut ging, würden wir uns in etwas mehr als vier Stunden wiedersehen. Nicht dass ich irgendwelche Zweifel daran gehabt hatte, ich kannte meine Barrakuda und war zusammen mit anderen Tauchbooten schon bis auf 6000 Meter gewesen. Heute sollte es fast doppelt so Tief hinabgehen.

Das Frontglas wurde geschlossen und die Verkleidung verriegelt. Ich gab das OK-Zeichen und Augenblicke Später hob mich der Bordkran über das ruhige Wasser des Pazifischen Ozeans. Ich führte einen letzten Check aller Systeme und Geräte durch, prüfte die Sauerstoffanzeige und die Finimeter alles war in bester Ordnung, per Funk gab ich die Checkliste durch, bis in eine Tiefe von einigen hundert Metern würde diese Verbindung noch bestehen bleiben.

Dann platschte ich ins Wasser, in dem schon die Taucher auf mich warteten, um die Kranhaken zu lösen und ein letztes Mal das OK-Zeichen abzufragen. Bei einer Sinkgeschwindigkeit von 200 Metern pro Minute würden sie mir höchstens ein paar Sekunden folgen können.

Ich nahm den Steuerknüppel in die Hand prüfte die Funktion des Leitwerks, dann gab ich das Zeichen zum Abtauchen und vergewisserte mich, dass die Taucher sich nicht in Gefahr befanden, dann schob ich den Schubregler nach vorn. Für die Barrakuda brauchte man wirklich eher einen Flugschein als U-Boot-Erfahrung.

Dann ging es mit 10 Knoten Reisegeschwindigkeit in die Tiefe, nach kurzer Zeit drang kein Licht mehr in meine Tiefe. Ich genoss die Dunkelheit und das Surren der Motoren einen Augenblick, bevor ich die rote Instrumentenbeleuchtung einschaltete und die Scheinwerfer auf niedrigster Stufe glimmen ließ. Es war ja nicht so, dass ich auf den nächsten Kilometern Angst haben musste, mit irgendetwas zusammen zu stoßen, aber ich wollte nicht all die bizarren Tiere verpassen, an denen ich auf meinem Sturzflug in die Tiefe vorbeikam. Bis auf ein paar Quallen kam ich allerdings an keinen größeren Organismen vorbei, wahrscheinlich flohen alle anderen Tiere vor dem Lärm dieses in die Tiefe rasenden Ungeheuers.

Nach etwas über einer halben Stunde zeige das Sonar endlich die Kante des Grabens, ich lag gut in der Zeit und war offensichtlich nicht vom Kurs abgekommen. Von nun an würde ich einfach der Wand des Canyons folgen, bis ich seinen Boden erreichte.

Das gleichmäßige Surren der Schrauben begleitete meinen fug in die eisige Tiefe des Grabens aber zumindest war an der Grenze des Lichtkegels zu meiner rechten die Grabenwand zu erkennen nur noch viereinhalb Kilometer diesen Hang hinunter bis zum tiefsten Punkt der Erde. So langsam setzte sich in meinem Kopf das Bewusstsein durch, dass ich nach über 40 Jahren wirklich der erste Mensch sein würde, der diesen Punkt leibhaftig besuchen würde.

Der Abstieg verlief ohne Zwischenfälle in regelmäßigen Abständen überprüfte ich die Instrumente, den CO2-Filter den Sauerstoff und die Batterien, alles lief wie am Schnürchen und der Keramik schien dieser fürchterliche Druck nicht das geringste auszumachen. In den anderen U-Booten hatte es in großen Tiefen immer geknirscht und genarrt. Mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich daran dachte, dass ein Fenster der Trieste einen Sprung bekommen hatte, als sie am Boden angekommen war.

Tiere hatte ich schon ewig nicht mehr gesehen, Schwebteilchen trübten das Wasser und transportierten Nährstoffe in die Tiefe, aber ich sah kein Tier, das versucht hätte sich diesen Schatz zunutze zu machen.

Plötzlich tauchte etwas vor mir auf, der Boden. In Gedanken versunken hatte ich die letzten Meter quasi im Blindflug zurückgelegt. Ich drosselte meine Geschwindigkeit auf einen Knoten und schaltete die Videokamera ein. Der Tiefenmesser zeigte 10,9 Kilomeer nur noch hundert Meter. Der Boden fiel leicht ab und ich folgte der Sandfläche langsam in die Tiefe immer mit angestrengten Augen in das trübe Wasser starrend, um keine Spur von Leben zu verpassen.

Es dauerte nochmal eine ganze Stunde, bevor ich die tiefste Stelle der Erde erreichte. Irgendwie hatte ich erwartet etwas Besonderes zu entdecken aber Piccard und Walsh hatten offensichtlich vergessen eine Flagge aufzustellen, ich fand noch nicht einmal Spuren des abgeworfenen Bleischrots, das sie abgeworfen hatten, um wieder auftauchen zu können, die Sedimente, die ständig hierher hinabsanken, hatten alle Spuren verwischt und ich würde heute wohl ein paar Zentimeter weniger tief hinab kommen als die Trieste.

Auf einmal sah ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Ich wendete die Barrakuda fast auf der Stelle und sah gerade noch einen Schatten verschwinden. Ich erhöhte die Geschwindigkeit in der Hoffnung den Fisch wiederzufinden, falls es nicht nur eine Sinnestäuschung gewesen war. Ich kreiste zehn oder 15 Minuten aber da war nichts mehr zu sehen, noch nicht einmal Spuren im Sand.

Dann traf mich der Steinschlag, was ich für einen Fisch gehalten hatte, war vermutlich nur ein Vorbote gewesen. Ich hätte damit rechnen müssen. Der Mariannengraben ist geologisch Aktiv, hier schiebt sich die Pazifische unter die asiatische Platte. Der erste Stein schüttelte mich ordentlich durch, ich gab sofort Gas, um aus der Gefahrenzone zu kommen aber der zweite Treffer verursachte irgendwo einen Kurzschluss, plötzlich war alles dunkel.

Nach einer kurzen Schrecksekunde suchte ich die Taschenlampe hervor und schaute mich um. Eigentlich sollte der Deep Flight aufgrund seines Auftriebs von selbst zur Oberfläche aufsteigen, auch bei Totalausfall der Elektrik und des Antriebs.

Als ich vorne aus dem Domport schaute, erkannte ich allerdings, dass mein Barrakuda zum Teil in den Schlick gedrückt worden war und keine Anstalten machte sich zur Oberfläche zu bewegen. Ich saß fest.

Jetzt war keine Zeit für Panik. Ich schaute mich um, so weit ich sehen konnte lagen keine Steine auf Deep Flight der letzte Treffer hatte es einfach in den Schlick gedrückt. Wenigstens schien der Steinschlag vorbei zu sein, den wenn der Keramik auch der Druck wenig ausmachte, punktuelle Belastungen waren bei Keramiken immer ein Problem.

Zuerst brauchte ich wieder Strom, ohne den würde die CO2-Konzentration in einer halben Stunde kritisch Werte erreichen. Die enge Röhre war viel zu klein, um Reparaturen durchzuführen, aber die Instrumente waren wenigstens weit vorne angebracht, sodass ich vorsichtig mit den Fingern nach losen Kabeln tasten konnte. Ich ging davon aus, dass der Kurzschluss in meinem Zylinder sein musste, sonst wäre die Innenbeleuchtung nicht ausgefallen. Abgesehen davon war es die einzige Möglichkeit wenigstens eine Chance zu haben den Fehler reparieren zu können.

Der Stromschlag, den ich mir einhandelte, war selbst bei nur 24 Volt schmerzhaft aber für wenigstens hatte ich das kaputte Kabel gefunden. Beim Aufprall hatte ich die Strippen wahrscheinlich abgerissen. In der nächsten Version würde man hier vielleicht eine Verkleidung anbringen müssen.

Ich bekam noch drei weitere Stromschläge und fast einen Krampf im Arm, bevor ich die Kabel wieder geflickt hatte plötzlich leuchtete die Kontrolllampen wieder auf und die Außenscheinwerfer warfen ihr Licht auf das Malheur, in dem ich steckte.

So wie ich schon vermutet hatte, hielt mich nur der Schlick fest aber mit etwas Glück müsste ich mich mit Motorkraft befreien können. Hoffentlich hielten die Motoren dem ganzen Dreck stand.

Langsam und vorsichtig erhöhte ich den Schub mit vollem Ruderausschlag nach oben. Es dauerte nicht lange, bevor sich eine Wolke aufgewirbelten Schlicks um mich herum ausbreitete aber bewegen tat sich nichts. So langsam bekam ich doch bedenken, ob dies nicht ein verdammt tiefes kaltes Grab für mich werden würde.

Ich hatte noch Sauerstoff für fast drei Stunden und die Batterien würden noch wenigstens fünf Stunden Strom liefern, also war noch lange nicht alles verloren. Ich erhöhte den Schub ganz vorsichtig und hoffte inständig, dass ich mich durch dieses Manöver nicht tiefer in den Schlick grub.

Nach einer unendlich langen Viertelstunde gab es endlich einen Ruck und ein lautes schmatzendes Geräusch. Ich war wieder frei, keine Sekunde zu früh. Ich war nahe dran gewesen aufzugeben.

Erleichtert und heilfroh erreichte ich nach einer Stunde die Wasseroberfläche und fand mein Schiff mittels Satellitennavigation schnell wieder. Man hatte sich noch nicht einmal Sorgen um mich gemacht, ich lag gut im Zeitplan.

Für zukünftige Expeditionen würden wir die seismischen Aktivitäten besser überwachen müssen, vielleicht die Barrakuda mit einem entsprechenden Sensor nachrüsten. Ich freute mich schon darauf, wieder in die Tiefe zu fliegen.


P.S.: Mehr Informationen zu Deep Flight gibt es hier.